Ich muss hier mal die Lanze brechen, nachdem ich in letzter Zeit sowohl von der Community, als auch dem Medien, immer mehr Kritik an der Formel 1 lese und höre. Wobei, streng genommen gab es immer Kritik an der Formel 1, seit ich sie aktiv verfolge. Das kann ich ziemlich genau datieren, nämlich die Saison ’96. Es war Schumis erste Saison bei Ferrari, nachdem er 2x mit dem Teils unterlegenen Benetton Weltmeister wurde. So gesehen ärgere ich mich auch sehr, dass ich die glorreiche Zeit von Senna nicht wirklich miterlebt habe, weil ich einfach zu jung war.
Ach diese Formel 1 kannste einfach nicht mehr sehen außer um ins Sonntagsnachmittagsnickerchen zu gleiten.
— Steffen Pfeiffer (@Whistler82) 21. April 2013
Formel 1 ist seither meine Passion. Es gab Jahre, in denen ich kein einziges Rennen live verpasst habe, und sonst habe ich sie aufgezeichnet. Morgens um 4 Uhr für das Rennen in Suzuka aufstehen? Kein Problem. Ich habe mitgefiebert und geschwitzt, als Schumi im Jahre 2000 nach der brillianten Boxenstrategie gegen Mika Häkkinen den ersten WM-Titel seit 21 Jahren für Ferrari gewann. Das Jahr mit dem bis heute vielleicht brilliantesten Überholmanöver von Häkkinen gegen Schumi.
Ich war immer Schumacher-Fan, dazu stehe ich auch. Der Schreckmoment, als er 1999 den schweren Unfall in Silverstone hatte, ist mir gut im Gedächtnis geblieben. Genauso aber die erlösende Feier nach dem ersten Titel mit Ferrari, die dominierenden Saisons 2002 und 2004 samt kontroverser Stallregien (dagegen sind die Ereignisse aus Malaysia 2013 Kinderkram) und die spektakulären Fights mit dem aufmuckenden Montoya 2003.
Fast in jeder Saison, die ich seither verfolgt habe, gab es unvergessliche Ereignisse. Hier meine Favoriten herauszupicken ist schwer. Ziemlich weit vorne liegt wahrscheinlich Schumis Fabelrennen 1996 in Spanien, das ihm zum „Regenmeister“ machte. Oder Spa 1998, zum einen wegen des seither größten Startunfalles, zum anderen wegen der Kollision des überlegen führenden Schumachers gegen den zu überrundenden Coulthard. Vettels unvergessener Sieg im unterlegenen Toro Rosso 2008 in Monza. Als Jean Alesi im unterlegenen Prost 2001 nach dem 5. Platz seinen Helm ins Publikum wirft. Die spannendsten Saisonfinales waren wahrscheinlich 1997 (Schumi gegen Villeneuve), 2000 (Schumi gegen Häkkinen), 2007 (Raikkonen gegen Hamilton und Alonso) und 2008 (Massa gegen Hamilton), die teilweise erst in der letzten Kurve entschieden wurden.
Kontroversen gab es oft, und zeitweise war auch ich kurz davor, das Interesse zu verlieren. Am schlimmsten natürlich die Saison 2005, als keine Reifenwechsel während eines Rennens erlaubt waren. Zwei Reifenhersteller (Michelin und Bridgestone) sorgten für einen ungleichen Kampf, bei dem Ferrari mit Bridgestone keine Chance hatte. Und schließlich der Höhepunkt dieser absurden Saison in Indianapolis, als Michelin nach dem Trainingsunfall von Ralf Schumacher nicht mehr gewährleisten konnte, dass die Reifen ein ganzes Rennen über die Steilkurve aushalten würden. Gerade in den doch recht verschlossenen USA, die lieber ihren eigenen Rennserien vertrauten, wurden hier viele Karten verspielt.
Ohnehin wird seit 20 Jahren in der Formel 1 über die Reifen gestritten. Sei es über die Rillen, über die modifizierten Schlagschrauber, über die zeitweise trendigen Radkappen oder über die Haltbarkeit. Mit Pirelli hat die Formel 1 seit letztem Jahr einen Weg eingeschritten, den ich auch erst mit Skepsis verfolgte. Und nun verteidige.
Die Reifen der Formel 1 sind Leading Edge Technology. Dank ihnen wurde es möglich, dass trotz der immer mehr eingeschränkten Motoren immer bessere Rundenzeiten erzielt werden konnten. Selbst nach dem Umstieg von V10 auf V8 Motoren wurden die Rundenzeiten noch besser. Und blicken wir mal zurück: Zeitweise befand sich die Formel 1 wirklich in einer Identitätskrise, es wurde kaum noch überholt. Es wurden reine Strategierennen, insbesondere auf den von vielen zurecht kritisierten Tilke-Rennstrecken wie beispielsweise Abu-Dhabi und Bahrain. Die Aerodynamik der Fahrzeuge ist dermaßen perfektioniert, dass zugleich optimale Downforce als auch maximal verwirbelte Luft am Heck erzeugt werden, die ein einfaches Windschattenfahren deutlich erschweren. Actionrennen, wie sie manchmal in der GP2 zu sehen waren, sah man in der Formel 1 nur noch selten (mein Highlight hier, auf das ich immer wieder gerne verweise: Hamiltons Fabelrennen in 2006).
Dem wird seit einigen Jahren mit einigen Versuchen mal mehr, mal weniger erfolgreich künstlich entgegengewirkt. Derzeit helfen gleich vier Maßnahmen, dass in der Formel 1 wieder Action angesagt ist:
1. KERS. Wurde eine Saison erfolgreich getestet, dann untersagt, dann wieder eingeführt. Die Idee ist nicht neu, und wird beispielsweise in ähnlicher Form in der Formel 2 angewandt. Dort wird mir Einheitsmotoren gefahren, und jeder Fahrer darf bis zu 8x pro Rennen einen ordentlichen PS-Boost nutzen. In der Formel 1 dürfen die Fahrer derzeit bis zu 6 Sekunden pro Rennen einen Boost von 82 PS nutzen, das über Energierückgewinnung gewonnen wird. 2014 sogar 163 PS für fast 9 Sekunden. Dieser Boost kann frei eingeteilt werden, etwa stückweise für eine optimierte Rundenzeit, oder am Stück bei einem Überholmanöver.
2. DRS. Das Drag Reduction System ist sicherlich die abenteuerlichste Idee der Formel 1 der letzten Jahre, und definitiv auch der künstlichste Eingriff, um mehr Überholmanöver zu erzwingen. Wenn der hinten liegende Fahrer näher als 1 Sekunde an den Vordermann herangefahren ist, darf er auf 1-2 bestimmten Streckenabschnitten (natürlich Geraden) den Heckflügel öffnen, um weniger Luftwiderstand zu haben. Das hilft auf vielen Rennstrecken enorm, andere sind schlicht ungeeignet dafür. Probleme damit gab es selten, aber über die Art des Einsatzes bin ich auch nicht hundertprozentig erfreut. Ich würde es beispielsweise bevorzugen, wenn jedem Fahrer pro Rennen nur eine begrenzte Zahl an DRS- Einsätzen zugestanden wird.
3. Kein Nachtanken. Die beste Maßnahme des Formel 1 Reglements. Die Tankanlagen führten in der Vergangenheit zu vielen Unfällen, und sie versagten zu häufig den Dienst. Den Teams war oft nichts vorzuwerfen, da die Tankanlagen einheitlich waren und unter keinen Umständen modifiziert werden durften. Seither gibt es natürlich keine Tankstrategien mehr, dafür ist die Zeit für einen Boxenstopp erheblich gesunken. Es ist zu einem richtigen Sport geworden, die Reifen zu wechseln. Derzeit hält Red Bull den Rekord für den schnellsten Stopp, und dieses Jahr wird sicherlich noch die 2 Sekundenmarke fallen. Während die Red Bull Mechaniker die Reifen einfach ans Auto knallen und festschrauben, muss der Reifen bei Sauber noch präzise angesetzt werden, damit die Mutter nicht verkantet. Allein durch diesen Kniff konnte beispielsweise Vettel Hülkenberg in Shanghai 2013 in der Box überholen. Und insbesondere durch die neuen Pirellireifen ist dieser „Wettbewerb im Wettbewerb“ noch spannender geworden.
4. neue Reifenmischungen. Womit ich beim letzten, und derzeit wichtigsten Punkt wäre: die Reifenmischungen von Pirelli. Seit nicht mehr getankt werden darf, muss jedes Team stattdessen beide Reifenmischungen im Rennen mindestens eine komplette Runde lang gefahren sein (Ausnahme: Regenrennen). Und hier scheiden sich die Geister. Die Reifen bauen teilweise richtig stark ab. Das führt zu einfachen Überholmanövern der Fahrer, die mit frischen Reifen gegen einen Fahrer mit alten Reifen antreten. Kaum ein Team traut sich derzeit, mit zwei Stopps durchs Rennen zu kommen. Drei- oder sogar Vierstoppstrategien sind an der Tagesordnung, die Verlierer sind Teams, die ihre Autos nicht optimal darauf abstimmen können. Oder die Fahrer, die zu hart attackiert haben.
Ganz ehrlich? Dieses DRS ist der größte Schwachsinn, den sie sich ausgedacht haben. Wenigstens hat Perez gerockt #Formel1
— Lobster Johnson (@Lobster_Johnson) 21. April 2013
Meine Meinung ist die: Gerade durch diese Maßnahmen hat die Formel 1 extrem an Würze gewonnen. Was wir nun jedes Rennen auf der Strecke sehen ist eine Kombination aus purer Action und richtig spannenden Rad-an-Rad Duellen, als auch ein sehr Strategie-geprägtes Rennen der Verantwortlichen an der Boxenmauer. Ich begrüße das. Sicherlich, die aktuellen Abläufe sind bei weitem nicht perfekt. Wenn ich etwas kritisieren sollte, dann wären das zuallererst die Testbedingungen und die eingefrorenen Motorenreglements. Letzteres wird natürlich durch die neuen V6-Turbomotoren, die 2014 kommen, erstmal Geschichte sein. Aber in Sachen Tests wird hier zu hart eingegriffen. Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, als die Teams mit teilweise einer halben Milliarde Dollar Budget zigtausend Testkilometer im Vorfeld als auch während der Saison abgespult haben. Dahin will man natürlich nicht zurück. Derzeit jedoch darf so gut wie nicht getestet werden. Es gibt eine Handvoll Testtage vor dem Saisonstart, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um sich auf die Reifensituation vernünftig einstellen zu können. Hier liegt meiner Meinung nach der Hund begraben, warum die Teams erst nach den ersten 3-4 Saisonrennen gut aufgestellt sind.
In den letzten Jahren, insbesondere seit der Wirtschaftskrise, ist auch in der Formel 1 ein unumdingbarer Sparkurs angebrochen. Andere Rennserien verfolge ich auch, wenn auch nicht halb so intensiv wie die Formel 1. Die DTM ist da noch an erster Stelle zu nennen, die aber sehr daran krankt, dass nur drei Marken beteiligt sind. Entsprechend wird hier mit besonderen Regeln versucht, den Stallordern Einhalt zu gebieten (etwa die blauen Flaggen für diejenigen, die einen Pflichtstopp weniger haben als der Hinterherfahrende). Die WTCC war eine Weile ganz vielversprechend (und mit dem @Whistler82 habe ich mir auch das Rennen in Oschersleben 2009 an der Strecke angesehen), versank dann aber auch in Abgängen, gescheiterten Hoffnungen und einem nicht funktionierenden Handycapsystem der dominierenden Fahrzeuge. Rennserien der USA, insbesondere Indycar, habe ich im letzten Jahr eine Chance gegeben, und diese waren durchaus vielversprechend. Doch gepackt hat mich das längst nicht, darum picke ich mir hier nur 2-3 Highlights pro Jahr heraus – etwa das Indy 500 Rennen. Keine Rennserie ist so „Leading Edge“ wie die Formel 1, in der durch und durch immer wieder überraschende Entwicklungen auch hinter den Kulissen stattfinden. Seit nicht mehr beliebig Zusatzflügel an den Fahrzeugen angebracht werden dürfen, ist das sogar noch spannender geworden. Beispiele? F-Schacht, Doppel-Diffusor, Doppel-DRS, Motormapping und der seit Jahrzehnten beliebte biegsame Flügel. Entwickelt von einigen der schlauesten Menschen im Motorsport, etwa Adrian Newey und Ross Brawn.
Die Formel 1 ist die Königsklasse des Motorsport, und ich sehe auch nicht, dass sich das ändern wird. Unmengen an Geld sind hier im Spiel, und natürlich ist das ein Grund mehr für die Medien, diesem Sport die höchste Aufmerksamkeit zu widmen. Vettel verliert plötzlich seine letzten Freunde (so wollte mir die Bäckerin gestern morgen die Bild am Sonntag andrehen), gegen Webber läuft ein Komplott und Mateschitz will alles hinschmeißen – in der Formel 1 wird alles aufgebauscht. Seit Jahrzehnten. Starke Egos entwickeln sich zu erfolgreichen Siegertypen, und Vettel ist genauso „Arschloch“ wie Schumi oder Alonso oder Raikkonen oder…
Auch in zehn Jahren werde ich noch mitfiebern, während andere dann meinetwegen über die Bremsen, die Biokraftstoff, mal wieder übers Qualifying oder was auch immer dann gerade die Kontroverse der Stunde sein wird, meckern werden. Und ich meckere dann natürlich auch, wenn es angebracht ist.
Kleiner Service zum Schluss:
-das nächste Formel 1 Rennen, und damit der Auftakt der Saison in Europa, ist der Große Preis von Spanien in Barcelona am 12. Mai, 14 Uhr
-Der Auftakt der DTM ist wie gewohnt in Hockenheim am 5. Mai um 13.30 Uhr
-Das nächste WTCC Event ist am 28.4. in der Slowakei
-Der Indy 500 findet am 26. Mai um 17.00 Uhr statt
-Die 24 Stunden von Le Mans starten am 22. Juni um 15.00 Uhr
Bahn frei für sachliche Kritik!